Droht der Minsky-Moment?
Die Weltwirtschaft wird in den letzten Wochen massiv auf die Probe gestellt. Wir haben eine weltweite Knappheit an fast allen essentiellen Gütern. Der Chart der Woche zeigt die explosionsartige Steigerung der Düngemittelpreise und damit sinnbildlich, wie sehr um Vorräte und Lebensmittelsicherung gebangt wird. Zum Thema Versorgungssicherheit, Lieferketten und drohende Hungersnot haben wir drei spannende Interviews mit Insidern gemacht:
Die globalen Lieferketten sind so angespannt wie noch nie zuvor und die Aktienmärkte fallen von einem Tief ins nächste. Die Welt ist in den letzten zwei Jahren auf jeden Fall fragiler geworden oder besser gesagt: Es fällt uns immer mehr auf wie fragil unser System gebaut ist und wie schnell es in Ungewissheit kippen kann. Diese Ungewissheiten wollen wir in den Newslettern der nächsten Wochen mehr und mehr aufklären. Heute mit den Themen “Gold und Realzins” und “Der VIX - Warum bricht er nicht aus?”.
Nie war es wichtiger das große ganze Bild vor Augen zu haben, um sich dem entsprechend aufzustellen und zu schützen. Wir helfen Ihnen dabei!
Herzlichst,
mit Navid Unger
Chart der Woche
Mehr zur aktuellen Lage im Agrarsektor können Sie auch in unserem letzten Blogpost lesen.
1. Gold und der Realzins
Im letzten Newsletter haben wir viel über die Zinswende in den USA geschrieben und wie “risikoreiche” Investments wie Bitcoin auf diese neuen Gegebenheiten reagieren. Heute soll es um “risikofreie” Assets und deren Einfluss auf Gold gehen. Dafür müssen wir zunächst ein paar Prinzipien klären.
“Risikofreie Rendite”: Die risikofreie Rendite ist eine Bezeichnung für die ausgezahlten Zinsen der US-Staatsanleihen. Diese werden so bezeichnet, da der Markt generell davon ausgeht, dass die USA niemals zahlungsunfähig sein werden und die Rendite der gekauften Anleihen somit garantiert und gesichert ist.
“Realzinsen”: Die Realzinsen geben an, wie hoch die tatsächliche Rendite meiner Staatsanleihen, abzüglich Inflationserwartungen, ist. Um das Verständnis dafür zu erhöhen, bedienen wir uns an einer kleinen Beispielrechnung:
Die Inflationserwartungen für die nächsten zehn Jahre liegt bei zwei Prozent und die Zinsen auf eine zehnjährige Staatsanleihe liegt bei 2,5 Prozent. In unserer vereinfachten Rechnung erhalten wir nun, nachdem wir die Inflationserwartungen von der Zinsrate abgezogen haben, einen Realzins von 0,5 Prozent.
Das Verständnis des Realzins ist für uns aus folgendem Grund wichtig: Gold und der Realzins befinden sich in einer inversen Korrelation wie man in diesem Chart deutlich erkennen kann:
Durch die Zinserhöhungen der amerikanischen Notenbank steigt der Realzins momentan deutlich an und ist zuletzt aus dem negativen Territorium zurück in den positiven Bereich gestiegen. Für die institutionellen Anleger heißt dies nun, dass sie mit Staatsanleihen jetzt wieder eine positive Rendite erzielen können.
Da man nun die Inflation mit Staatsanleihen umgehen kann, wird Gold als Inflationsschutz erstmal nicht mehr benötigt. Folglich gerät der Goldpreis weiter unter Druck. Sollte zu den Zinserhöhungen auch eine Trendumkehr in der Inflation zu erkennen sein, wird dieser Trend nur noch weiter beschleunigt.
Wir sehen hier auch nochmal wie perfekt die Inflationserwartungen mit dem Goldpreis einhergehen. Wir erkennen auch, dass die Inflationserwartungen in den letzten Tagen gefallen sind. Das ist darauf zurückzuführen, dass der Markt die Möglichkeit einer Rezession immer stärker einpreist. Auch wir erwarten in den kommenden Monaten das Hoch in der Inflation und dass dann die Rezession folgt und die Inflation ablöst.
In einer Rezession kollabiert die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und die Kreditausweitung. Dazu kommen Häuserverkäufe und schwindende Kauflust der Bevölkerung. In einem solchen Umfeld ist es für die Inflation schwierig weiter zu steigen. Es könnte daher sein, dass die Inflationsrate erstmal einen Höhepunkt gefunden hat. Sollte dies der Fall sein, wird der Realzins explosionsartig nach oben schießen und Gold erstmal den Boden unter den Füßen wegziehen.
Bestätigt wird unsere Annahme von der Preisentwicklung der Häuserpreise in den USA im April im Vergleich zum Vorjahresmonat:
Der Goldpreis bekommt auch Probleme durch die Veränderungen in der Risikokurve.
Für den Leser ist es jetzt wichtig eine Sache zu verstehen: Die Risikokurve fängt an zu drehen.
Was heißt das, “die Risikokurve dreht”?
Einfach erklärt gibt es für Anleger im Markt zwei Optionen:
1. Geringes Risiko mit geringer Rendite (Staatsanleihen)
2. Hohes Risiko mit hoher Rendite (Bitcoin)
Die Risikokurve beschreibt wie Marktteilnehmer in diesem Spektrum verteilt sind.
Am Anfang eines Bullenmarktes sind die meisten Marktteilnehmer in den sicheren Assets zu finden, da sie kein unnötiges Risiko eingehen wollen. Im Laufe des Bullenmarktes verschiebt sich der Markt generell an das äußere Ende der Risikokurve, also in die Assets mit hohem Risiko und hoher Rendite. Die Risikobereitschaft nimmt deutlich zu, bis der Minsky-Moment eintritt.
Durch die lockere Geldpolitik der Notenbanken kommt es zu einer Fehlallokation von Kapital. Immer mehr Menschen verschulden sich, um zu investieren in der Hoffnung, dass die risikoreichen Assets weiter steigen. Der Ökonom Hyman P. Minsky ging davon aus, dass im Laufe eines Aufschwungs das Finanzsystem immer instabiler und anfälliger wird durch das vermehrte Eingehen von Risiken, die zu Spekulationsblasen führen, welche schlussendlich platzen. Risiken werden unterschätzt oder ignoriert und Renditen überschätzt. Die Schulden erreichen immer neue Höchststände. Ein Perpetuum Mobile - meint man, bis der Minsky-Moment eintritt und die Blase platzt, verursacht entweder durch einen exogenen Schock, oder einem Kurswechsel der Notenbankpolitik.
Im Buch "Die größte Chance aller Zeiten" habe ich den Zyklenverlauf detailliert beschrieben.
Das liegt an der Tatsache, dass die meiste Rendite in den weniger Risiko-belasteten Werten, schon “ausgenutzt” wurde. Das heißt, Marktteilnehmer haben die Chance schon genutzt und dafür bereits ihre Rendite erzielt. Um nun noch Rendite zu erzielen, ist man dazu gezwungen mehr Risiko einzugehen. Der Grad der Übertreibung, also wie viel Risiko der Markt bereit ist, einzugehen, wird maßgeblich von der Positionierung der amerikanischen Notenbank (FED) bestimmt. Wenn die FED den Markt mit Geld überflutet und die Zinsen niedrig hält, dann wirkt dies wie eine Risikodämmung und der Markt ist bereit, sehr hohes Risiko einzugehen.
Wir haben diesen Zyklus jetzt über die letzten zwei Jahre perfekt miterlebt. Assets wie Bitcoin haben hervorragende Renditen abgeworfen, da das Geld billig war und somit niemand etwas zu verlieren hatte. Mit der Zinswende der FED und dem Ende von Quantitativ Easing (Die Schaffung von neuem Geld) ist diese Ära nun erstmal beendet. Folglich erleben wir nun die Rückkehr des Markts zu weniger Risiko und sicherer Rendite. Diese sichere Rendite wird, wie bereits erwähnt, durch die Staatsanleihen gebildet, welche immer attraktiver werden. Die Risikokurve dreht also soweit, das Risiko stärker gemieden wird.
2. Der VIX – wieso bricht er nicht aus?
Der VIX ist ein sehr wichtiger Indikator für die Stabilität der Aktienmärkte. Er zeigt an, wie hoch die Unsicherheit im Markt ist und wie viele Investoren sich mit Put Optionen, also Absicherungen auf fallende Kurse, eindecken. Die größten Crashs der letzten Jahre waren begleitet von einem massiven Ausbruch des VIX. Im folgendem Chart ist das sehr gut zu erkennen:
Wenn man sich nun vor Augen führt was momentan an den Aktienmärkten passiert und wie stark wir bereits von den Hochs gefallen sind, fällt eine Sache auf:
Der VIX steht viel geringer als man erwarten würde
Woran liegt das?
Es gibt mehrere Gründe warum der VIX nicht auf einem Level ist, welches für die jetzige Situation der Weltwirtschaft plausibler erscheint. Zum einen sind Investoren über die letzten Jahre dazu “trainiert” worden, den “Dip zu kaufen”. Das bedeute, immer Aktien zu kaufen, wenn der Markt stark gefallen ist, um so seinen durchschnittlichen Kaufpreis zu senken.
Diese Leute kaufen nun jeden “Dip” und erreichen damit, dass der VIX nicht weiter nach oben ausbricht. Diese Dynamik ist darin begründet, dass die Panik im Markt, durch dieses Verhalten, niedrig gehalten wird. Der VIX steigt nur kontinuierlich weiter, da die generelle Angst am Markt mit jeder Abwärtsbewegung ein neues Minimal-Level erreicht.
Wir befinden uns deshalb in einem anderen Bärenmarkt als zum Beispiel im Jahr 2020. Wir haben dafür folgende Grafik entworfen:
In einem Blitzcrash, wie im März 2020, kommt das Risiko und die Panik am Markt ganz plötzlich und es gibt eine massive Abwärtsbewegung über einen kurzen Zeitraum. Der jetzige Bärenmarkt ist, durch das ständige Aufkaufen der Abwärtsbewegungen, eher ein langsamer Abstieg (Salamicrash). In diesem Bärenmarkt folgen auf Abwärtsbewegungen immer Phasen in denen der Markt für eine gewisse Zeit in einer Preisspanne bleibt.
Dort kaufen die Anleger ihre “billigen” Aktien. Diese kaufen sie meist von Hedge Funds und institutionellen Anlegern, welche diese aus ihrer Bilanz entfernen wollen. Diese Phase nennt man “Redistribution”. Wenn die Nachfrage ihr Ende findet, geht der Markt in die nächste Abwärtsbewegung. Dieses Spiel wiederholt sich bis die Großanleger die Bewertungen als attraktiv betrachten und ab diesem Punkt kaufen sie die Aktien am Markt auf. Daraus folgt dann der nächste Abwärtstrend oder ein Bullenmarkt.
Diesen Punkt werden wir wahrscheinlich erst erreichen, wenn sich die Mentalität des "Buy-the-Dip" ändert und diese Investoren panisch den Markt verlassen.
Fazit
Die Aktienmärkte haben bereits eine wilde Fahrt hinter sich. Unter Anbetracht der historischen Verläufe, sind wir aller Wahrscheinlichkeit nach aber noch nicht am schlimmsten Punkt angelangt. Wir warnen nun schon eine Weile vor steigender Volatilität an den Märkten und wir sehen nun wie sie sich in den Märkten manifestiert. Wir raten weiterhin zur Vorsicht und versuchen Sie nicht, gegen den Strom anzukämpfen. Die FED möchte den Markt wanken sehen und es ist ein unnötiger Kampf sich gegen die Notenbank zu stellen. Sollten sich andere Entwicklungen ergeben, werden wir natürlich sofort ein Update bringen.
Bis dahin gilt weiterhin: Cash ist King!
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Quelle Titelbild: Shutterstock